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März 1943 - Ungeduld rettete Hitler das Leben

Mit einem Selbstmordattentat wollte Oberstleutnant Rudolf-Christoph von Gersdorff vor 70 Jahren den Diktator töten. Am Ende fehlten rund zehn Minuten, um den Zweiten Weltkrieg schon 1943 zu beenden.

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Joseph Goebbels war aufgeregt. Am frühen Morgen des 21. März 1943 diktierte der Propagandaminister seinem Sekretär einige Sätze für seine sogenannten Tagebücher: “Für Berlin lasse ich totale Luftschutzvorbereitungen für den Heldengedenktag treffen. Die Feuerwehren aus den umliegenden Ortschaften sind in Alarmbereitschaft versetzt worden. Sollte ein größerer Luftangriff auf Berlin stattfinden, so hätten wir Hilfskräfte, wie wir sie zahlenmäßig bisher noch nie besessen haben.”

Die Aufregung des mächtigsten Nazis in der Reichshauptstadt war verständlich – stand doch der erste öffentliche Auftritt Adolf Hitlers in Berlin seit der Katastrophe von Stalingrad bevor. Noch viel aufgeregter aber wäre Goebbels wohl gewesen, wenn er auch nur einen Splitter über das gewusst hätte, was einige Stabsoffiziere für diesen Tag planten.

Oberst im Generalstab Henning von Tresckow war schon seit Monaten fest entschlossen, den “Obersten Kriegsherrn” der Wehrmacht umzubringen. Der preußische Musteroffizier, der seit 1941 an der Ostfront eingesetzt gewesen war, hatte so viele Grausamkeiten im Vernichtungskrieg gesehen, dass er keine andere Möglichkeit als den Tyrannenmord mehr sah, um dem Morden durch deutsche Soldaten und im deutschen Namen ein Ende zu bereiten.

Eine neue Chance für den Anschlag

Ein aussichtsreicher Versuch jedoch war erst wenige Tage zuvor gescheitert: Ein in Hitlers Flugzeug geschmuggeltes Sprengstoffpaket war aus unerfindlichen Gründen nicht explodiert. Fieberhaft suchten Tresckow und seine Mitverschwörer nach einer neuen Gelegenheit. Da bekamen sie den streng geheimen Plan für Hitlers Programm am “Heldengedenktag” auf den Tisch. Der Diktator sollte nämlich an diesem Tag eine Ausstellung mit Beutewaffen aus dem Ostfeldzug in Berlin besichtigen – geführt unter anderem von Offizieren der Heeresgruppe Mitte.

Üblich war, dass der “Führer” wie jedes Jahr am “Heldengedenktag”, der Nazi-Variante des Volkstrauertags, mit einer Rede die deutschen Gefallenen des vergangenen und des gegenwärtigen Weltkrieges ehren wollte. Als geeignete Kulisse diente diesmal das Heeresmuseum im barocken Zeughaus Unter den Linden. Anders als gewöhnlich aber fand der “Heldengedenktag” in diesem Jahr nicht am fünften Sonntag vor Ostern statt, sondern eine Woche später: Hitler hatte die Verlegung befohlen, weil er auf einen Erfolg an der Ostfront hoffte. Und tatsächlich eroberten am 15. März 1943 zwei SS-Divisionen die ukrainische Stadt Charkow zurück.

Nun sagte Hitler seine Teilnahme an der Berliner Feier zu. Das Programm stand am 16. März fest: Irgendwann zwischen dem späten Vormittag und dem frühen Nachmittag des kommenden Sonntags würde der “Führer” ins Zeughaus kommen – genauere Zeitangaben gab es bei öffentlichen Hitler-Auftritten während des Krieges nicht mehr, um nicht den britischen Bombern ein lohnendes Ziel zu bieten. Dann würde er im Innenhof unter dem Glasdach eine Ansprache halten, danach die Ausstellung mit sowjetischen Beutewaffen besichtigen und schließlich vor der Neuen Wache eine Parade abnehmen.

Der Attentäter will sich opfern

Trotz einiger Probleme konnten Tresckow und seine Mitverschwörer arrangieren, dass Oberstleutnant Rudolf-Christoph von Gersdorff als Experte an der Besichtigung teilnehmen durfte. Gersdorff, ein 38-jähriger Adliger aus Schlesien, gehörte zu den engsten Mitarbeitern Tresckows, war bis dahin aber nicht aktiv am Widerstand beteiligt gewesen. Nun sollte er die Gelegenheit bekommen, ganz nah an den “Führer” heranzukommen und ihn zu töten.

Gersdorff war durchaus bereit, sein Leben bei einem Selbstmordattentat zu opfern: Er hatte auf dieser Welt nichts mehr zu verlieren, seit seine Frau im Januar 1942 Selbstmord verübt hatte. Allerdings wollte er die Gewissheit, dass sein Tod sinnvoll sein würde. Ein Attentat mit der Pistole kam nicht in Frage – angesichts des Personenschutzes Hitlers bei öffentlichen Auftritten wäre es wahrscheinlich misslungen, hätte den Attentäter aber dennoch das Leben gekostet.

Also blieb ihm nur, sich an der Seite des “Führers” in die Luft zu sprengen. Doch womit? Selbst für hohe Stabsoffizieren war es schwierig, an geeignetes explosives Material heranzukommen. Er konnte in unmittelbarer Nähe Hitlers nicht einfach zwei Hand- oder Gewehrgranaten benutzen. Zwei erbeutete Splitterminen britischer Bauart waren die Lösung.

Ein Problem blieb: Womit soll man diese Ladungen zünden? Die originalen mechanischen Zünder tickten so laut, dass Hitlers Leibwache garantiert aufmerksam geworden wäre. Die lautlosen Zünder aus deutscher Produktion aber passten nicht in die britischen Minen. Also blieb nur, die britischen Säurezünder zu verwenden, die eine Verzögerung zwischen zehn und fünfzehn Minuten hatten, abhängig von der Umgebungstemperatur.

Am 21. März brach der Frühling aus

Laut Hitlers geheimem Zeitplan sollte sich an die Ansprache, die je nach Stimmung des Diktators zwischen 15 Minuten und anderthalb Stunden dauern konnte, die Beutewaffenausstellung beginnen. Dafür waren etwa zwanzig Minuten angesetzt – genügend Zeit für Gersdorff also, um sich in Hitlers unmittelbarer Nähe in die Luft zu sprengen. Die Verschwörer hofften, dass sie diesmal Erfolg haben würden.

In Berlin brach an diesem 21. März 1943 schlagartig der Frühling aus. Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel. Von “Führerwetter” murmelten die Berliner, die sich zu Zehntausenden rund um das abgesperrte Zeughaus versammelt hatten, um einen Blick auf Hitler zu erhaschen. Ab elf Uhr versammelten sich die geladenen Gäste im Lichthof, doch sie mussten mehr als zwei Stunden warten.

Denn erst gegen 13 Uhr traf der Diktator ein. Ein Orchester spielte den sehr getragenen ersten Satz aus Anton Bruckners 7. Sinfonie, dann ging der “Führer” zum Rednerpult zwischen den Läufen der repräsentativen Zeughaustreppe. Hitler fasste sich kurz: Nur etwa zwölf Minuten dauerte sein rhetorischer Rundumschlag. Unmittelbar nach dem Applaus zerdrückte Rudolph von Gersdorff die Säureampulle des Zünders in einer der beiden Minen, die er in seinen Manteltaschen bei sich trug. Von nun an trennten ihn noch zehn bis 15 Minuten vom Tod.

Gersdorff hatte mit seinem Leben abgeschlossen und beeilte sich, seinem “obersten Kriegsherrn” hinterherzulaufen. Doch der interessierte sich nicht für die ausgestellten Waffen, sondern hastete durch die Ausstellung. Selbst der Radioreporter, der für den Reichsrundfunk live vom “Heldengedenktag” berichtete, war überrascht, als Hitler nach nur gut zwei Minuten wieder aus dem Zeughaus trat, um die Parade abzunehmen.

Gersdorff überlebte den Krieg

Nun hatte Gersdorff ein Problem: Er trug eine explosionsbereite Mine bei sich, deren Zünder er schlecht vor den Augen der geladenen Gäste der Feierstunde entschärfen konnte. Also hetzte der Oberstleutnant mit schweißnassem Gesicht zur nächsten Toilette und entsorgte den Säurezünder. Weder die Gestapo noch Goebbels erfuhren jemals, wie knapp Hitler an diesem Tag einem mit Sicherheit tödlichen Anschlag entgangen war.

Nur ein Quentchen Glück fehlte, den Massenmörder umzubringen. Gersdorff, der sein Leben hätte eintauschen wollen gegen das Hitlers, beteiligte sich später zwar nicht mehr aktiv an Anschlagsversuchen. Aber er verwahrte zum Beispiel den Sprengstoff, den Claus Graf von Stauffenberg für sein Attentat am 20. Juli 1944 benutzte. Rudolf-Christoph von Gersdorff überlebte den Krieg und starb 1980 im Alter von 75 Jahren.

Deshalb konnte er sich nach 1945, anders als die meisten Verschwörer, noch ausführlich zum militärischen Widerstand äußern. Seiner “kumulativen Erinnerungskonstruktion” widmet sich die junge Bonner Historikerin Rafaela Hiemann in einem lesenswerten Aufsatz in dem Sammelband “Lebenszeugnisse und politische Memoiren” ..

Sie vergleicht detailliert die drei Jahre vor Gersdorffs Tod erschienen Memoiren “Soldat im Untergang” und andere Texte, darunter private Briefe und Berichte, und kommt zu einem ernüchternden, aber wohl begründeten Ergebnis. Seine Erinnerungen gäben “zusammenfassend ein Gesamtbild” wieder, das “wesentliche Eindrücke der Zeit nach 1945 integriert”. Gersdorff “tarierte” demnach “die Ambivalenz seiner teils widersprüchliche Rollen als Offizier und Widerständler bis 1977 immer weiter aus”.

Die Welt - 21.03.13 - Von Sven Felix Kellerhoff - Leitender Redakteur Zeit- und Kulturgeschichte


Der Beitrag wurde am Freitag, den 20. März 2015 um 19:31 Uhr unter der Kategorie Vorstand veröffentlicht. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen und selbst einen Kommentar schreiben.

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