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Die “killing fields” der Ukraine sollen schweigen

Noch immer wird in der Ukraine nach Opfern der Sowjetherrschaft gegraben. Der neue Geheimdienstchef schließt KGB-Archive. Von Gerhard Gnauck

Julian Kujbida hat seine eigenen Worte für das, was man unter Völkerverständigung versteht. “Aus welchem Land ihr auch kommt”, sagt der ältere Herr, “wir sollten uns gegenseitig den Puls fühlen. Wir sollten wissen, was den anderen bewegt. Und wir alle wollen, dass sich das nie wiederholt, auch nicht für unsere Enkel.” Kujbida ist eigentlich Bauingenieur. Doch im Herbst 1989 ergriff ihn die Geschichte und ließ ihn nicht mehr los. Damals, als ganz Mittel- und Osteuropa in Aufruhr war, begann man auch hier, in der damaligen Sowjetrepublik Ukraine, verbotene Fragen zu stellen und an verbotenen Stellen zu graben. Auch hier, am Rande der Bezirkshauptstadt Iwano-Frankiwsk, wo in der sommerlich-grünen Hügellandschaft inzwischen neue Einfamilienhäuser entstanden sind. Und daneben, auf einem der “killing fields” der Ukraine: die 2009 fertiggestellte Gedenkstätte Demjaniw Las mit einer kleinen Kirche, deren Schlüssel Kujbida jetzt in Händen hält.

Er war dabei, als in dieser idyllischen Landschaft nach Massengräbern gesucht wurde. Was zutage gefördert wurde, liegt jetzt im Ausstellungsraum unterhalb der Kirche. Menschliche Schädel, das feine Muster der Knochennähte deutlich erkennbar. Eine schmutzige Brille, eine Zahnbürste, Knöpfe. Eine Taschenuhr, der die Zeiger fehlen. Ein Kamm, in den ein Häftling seinen Namen geritzt hat, dazu die Worte: “Alle aus Kolomyja sind zum Tode verurteilt. Wer dies findet, bitte die Familien informieren, Kolomyja, Matejko-Straße 10. Den 21. 10. 1939.”

Genau 50 Jahre mussten vergehen, bis jemand den Kamm finden und eine der Familien benachrichtigen konnte. Damals, 1939, als im Einklang mit dem Hitler-Stalin-Pakt sowjetische Truppen die Gebiete der heutigen Westukraine besetzten, durften die Familien nichts erfahren. Die Geheimpolizei NKWD verhaftete Tausende und deportierte Hunderttausende Menschen nach Sibirien – Ukrainer, Polen, Juden, Angehörige der drei größten Volksgruppen Galiziens, vor allem ihrer Vorkriegseliten. Viele der Verhafteten wurden wegen “antisowjetischer Betätigung”, was alles Mögliche heißen konnte, zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Rom unterstellte griechisch-katholische Kirche in der Region informierte Papst Pius XII. in einem geheimen Brief: “Die bolschewistischen Beamten haben die Macht zu töten, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Die Zahl der Verhaftungen wächst von Tag zu Tag.”

Bei einigen der Leichen fand man in der Kleidung die Zettel, auf denen die Haftstrafen verkündet wurden. Doch irgendwann zählten auch diese Urteile nicht mehr. Dann wurde nur noch getötet. In der Regel mit ein, zwei Schüssen in den Hinterkopf; die Einschusslöcher heben sich scharf von den hellen Schädelknochen ab. Zur Sicherheit gab es manchmal noch einen Bajonettstich ins Brustbein – die vierkantigen Öffnungen sind gut zu sehen. Auch ein Frauenschädel ist ausgestellt, der mit einem Metallstift durchbohrt wurde; der rostige Stift ist im Schädel hängengeblieben. “Die Frauen haben sie besonders gequält”, murmelt Kujbida. “Warum nur?”

Die Sowjets veränderten die Landschaft bis zur Unkenntlichkeit

Niemand ist vergessen, und nichts ist vergessen. Dass eines Tages die Verschwundenen im Erdreich gefunden wurden, hat eine Vorgeschichte. Ob Herr Kujbida sie erzählt oder der junge Historiker Jaroslaw Koretschuk, stets kommt darin eine Radiosendung vor. Ein Westsender schickte sie im Jahre 1960 in den Äther. Darin wurde berichtet, in Demjaniw Las (wörtlich “Demjans Schlucht”), hier am Stadtrand, befinde sich ein Massengrab. Die sowjetischen Behörden reagierten schnell: Sie fällten die Bäume, pflügten das Gelände um und um, veränderten die Landschaft bis zur Unkenntlichkeit.

Doch es gab einige Zeugen, die 1989 zu sprechen begannen. Etwa der alte Bohdan Wintonjak, dessen Hütte damals hier am Waldweg stand: “Jeden Tag am Morgen habe ich gesehen, dass der schmale Weg ganz mit Blut befleckt war.” Da waren nachts Lastwagen mit frischen Leichen aus der Stadt gekommen. Als in immer mehr Städten der Sowjetunion ähnliche Fälle bekannt wurden, war die Wahrheit nicht mehr aufzuhalten. Auch der letzte, an vielen Orten verbreitete Mythos, die “deutsch-faschistischen Besatzer” hätten die Menschen ermordet, brach in sich zusammen. Wenngleich manchmal die Sowjets und die Nazis ihre Opfer – aus praktischen Gründen, sozusagen – nahe beieinander verscharrten, Gebein an Gebein. In Demjaniw Las trennen nur einige hundert Meter die Gräber der einen und der anderen.

“Im Oktober 1989 haben wir also gegraben”, erzählt Kujbida, “auch wenn der KGB uns drohte: Wenn sich hier keine Leichen finden, werdet ihr wegen Verleumdung des Sowjetstaats angeklagt.” Die erste Grabung ergab nichts. Erst beim zweiten Versuch stieg ein moderiger Geruch aus dem Erdreich. Dann waren Kleider und Knochen zu sehen. “Da sagte uns der KGB-Mann, der dabei war: ,Also, ihr habt gewonnen’.”

Demjaniw Las wurde zum bekanntesten Fall seiner Art in der Westukraine. Eine halbe Million Menschen, so wird berichtet, kamen Ende Oktober 1989 zur feierlichen Beisetzung der 532 Opfer von Demjaniw Las. Doch dieser Ort blieb nicht der einzige. Allein im Bezirk Iwano-Frankiwsk, der heute 1,4 Millionen Einwohner zählt, wurde seitdem an 115 Orten nach Opfern gegraben. Fast überall wurden Leichen gefunden, oft mehrere Dutzend auf einmal.

Bald wird wieder gegraben. “Am Rande eines Dorfes haben wir mit dem Georadar Veränderungen in den Erdschichten und auffällige Gegenstände festgestellt”, erzählt Koretschuk. “Und wir kennen im Bezirk dreißig weitere Orte, wo es Hinweise auf Leichen gibt.” Die Öffnung der KGB-Archive in der Ukraine in den letzten Jahren gab den Historikern die Möglichkeit, viele der Opfer und auch der Täter, der Geheimpolizisten, namentlich zu ermitteln. Einige Täterfamilien sollen die Stadt nach Beginn der Ausgrabungen in Richtung Russland verlassen haben.

Doch mit der Archivarbeit dürfte jetzt Schluss sein. Schon im März, genau an dem Tag, an dem in Kiew eine neue, moskaufreundliche Regierung gebildet wurde, sagte der neue Geheimdienstchef Walerij Choroschkowskij, jetzt sei genug Wahrheit aus den Archiven geflossen: “Die Sorge der Geheimdienste sollte es vor allem sein, ihre Geheimnisse zu schützen.” Offenbar auch die schreckliche Erbschaft der Vorgänger, des NKWD und des KGB.

Die Ukraine will nach weiteren Leichen suchen

Im September wurde eine wichtige Gedenkstätte, das ehemalige NKWD-Gefängnis in Lemberg (Lwiw), von Mitarbeitern des Geheimdienstes SBU durchsucht und der Leiter, der Historiker Roman Sabilyj, festgenommen und stundenlang verhört. Auf Anfrage von “Welt Online” teilte SBU-Sprecherin Maryna Ostapenko mit, er habe nicht freigegebene Archivdokumente aus den 40er bis 70er Jahren besessen. Sabilyj war in der Gedenkstätte formell selbst beim SBU beschäftigt – der jetzt freilich seinen Kurs geändert hat.

Jetzt gaben die Behörden Polens und der Ukraine bekannt, dass sie im Frühjahr bei Kiew nach weiteren Leichen der Opfer von Katyn suchen wollen. Etwa 22.000 polnische Gefangene der sowjetischen Geheimpolizei waren 1940 ermordet und an verschiedenen Stellen in der damaligen Sowjetunion verscharrt worden. 1989 waren auch in Bykiwnja am Rande der Hauptstadt der Ukraine Massengräber geöffnet worden; bis dahin hatten die Machthaber stets behauptet, dort seien NS-Opfer begraben. Erste Exhumierungen haben aufgrund gefundener Kleidung und Gegenständen bereits bestätigt, dass dort ukrainische und auch polnische Opfer der kommunistischen Herrschaft liegen. Die Suche auf den “killing fields” geht weiter.

Diesen Artikel finden Sie online unter     http://www welt de/11175655


Der Beitrag wurde am Samstag, den 28. Februar 2015 um 00:55 Uhr unter der Kategorie Vorstand veröffentlicht. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen und selbst einen Kommentar schreiben.

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