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« Beginn des Zweiten Weltkriegs  |   Die sowjetische Winteroffensive von 1943/44 (ab 24. Dezember 1943) »

Zeugnisse des Schreckens: Alte Schlachten - neue Spuren

Stalingrad, Waterloo oder Verdun. Kämpfe, die Geschichte schrieben. Archäologen finden an diesen Orten auch heute noch Spuren.

Von Hans-Juergen Fink – HH Abendblatt 16.3.2013

Der Granatsplitter hat den Stahlhelm durchschlagen und die Schädeldecke. Das Ende für diesen russischen Soldaten im Ring um die eingekesselte Stadt Stalingrad.

Ein Spatenblatt tief liegt er im Steppenboden, viel finden die Ausgräber nicht mehr. Einen Stahlhelm. Ein Essgeschirr. Knochen. Schuhe auch. Und eine kleine Kapsel mit einem schmalen Röllchen Papier darin - die persönlichen Daten von Kuznow Fedorwitsch Romanow, aus dem sibirischen Altai-Gebirge hierher gebracht, um im Winter 1942/43 sein Vaterland gegen die Deutschen zu verteidigen. Nur 20 Jahre alt ist er geworden.

Es sind russische Freiwillige, die da mit staatlicher Lizenz graben und sterbliche Überreste der Soldaten - nicht nur die ihrer Landsleute - bergen. Hier, nahe bei den Flugfeldern von Stalingrad, über die der Kessel versorgt und Verwundete ausgeflogen wurden. Wo Feldpost und Munition verladen wurde. Wo sich verzweifelte Landser an die letzten Flugzeuge klammerten, die den Kessel verließen. Und nach dem Grauen der Schlacht um Stalingrad?

Vergessen. “Die Verteidiger hier sind nicht einmal begraben worden”, sagt der russische Ausgräber Denis Derjabkin erschüttert. Das holen die Schlachtfeld-Archäologen nun nach, so gut sie können. Und sie versuchen, Angehörige zu finden.

Die Hamburger Fernseh-Archäologin Gisela Graichen und Regisseur Peter Prestel, haben für ihren Film “Die letzten Minuten” diesen neuen Zweig der Archäologie unter die Lupe genommen und Forscher vor Ort begleitet - von den griechischen Thermopylen über die Völkerschlacht bei Leipzig, das belgische Waterloo, über Verdun bis nach Stalingrad. Ortsnamen, die für erbitterte Kämpfe stehen, für massenhaften Tod, für Wendepunkte der Geschichte. Die aber bisher für Archäologen kaum ein Thema waren.

“Es ist”, sagt Peter Prestel, “ein komisches Gefühl, nicht normale Archäologie. Man spürt bei denen, die da graben, Respekt. Sie sind persönlich berührt. Man kommt der Geschichte schon unheimlich nah.” Ihre Arbeit zeigt, dass Krieg nicht das ist, was in den Verklärungen und Mythen der Überlebenden stehen bleibt, sondern blutiges, grausames Handwerk, in dem zu Zehn- bis Hunderttausenden Existenzen ausgelöscht werden, samt ihren Träumen von Familie, Frieden und Glück.

Galina Oreshkina, Leiterin des Grabungsteams, fühlt “nichts als Trauer. Trauer, wie sie eine Mutter, eine Ehefrau oder eine Tochter fühlen würde”. Der Kampf um Stalingrad ist seit 70 Jahren zu Ende. Die Aufarbeitung, vor allem die in den Gedanken und in den Emotionen, noch lange nicht. “Hier kann sich niemand zurückziehen auf leidenschaftsloses Registrieren. Das Mitgefühl, dass man für die armen Teufel da empfindet, erzwingt es, Position zu beziehen gegenüber dieser Dimension menschlichen Leidens”, sagt Prestel. Für ihn immer wichtiger, je weniger Überlebende direkt berichten können.

Auch Gisela Graichen geht dieser Film unter die Haut. Sie berichtet von zwei Soldaten, einem Deutschen, einem Russen. Gestorben knapp nebeneinander. Jeder mit einem Talisman - einer Puppe, zugesteckt von einer kleinen Tochter. “Das ist etwas anderes, als Ruinen auszugraben Steine, Säulen, Zeugnisse herrschaftlicher Pracht.”

Mehr als 500 deutsche Feldpostbriefe aus den letzten Tagen des Grauens, gefunden in einer verlassenen Feldpoststation, haben Forscher im Keller eines Museums im heutigen Wolgograd entdeckt. “Darin ist anders als in der deutschen Propaganda von Hass auf ‘den Iwan’ nichts zu finden”, sagt Prestel. Auch wenig vom eisernen Durchhaltewillen. Stattdessen sachliche Berichte von zermürbenden Kämpfen, Andeutungen über den Hunger, den es in Propagandafilmen nicht gab: “Ich wundere mich, wie ich das nur aushalte” - verhungert sind in Stalingrad mehr deutsche Soldaten, als in Kämpfen fielen. Fotos von Neugeborenen, von Verlobten. Hoffnung? Kaum noch funkenweise. Am 2. Februar 1943 kapitulierten die Deutschen im Restkessel, nur 6000 kehrten viele Jahre später aus der Gefangenschaft heim. 250.000 Menschen auf beiden Seiten werden bis heute vermisst. Es ist noch viel zu tun für die Grabungsteams.

“Das ist das Vornehmste, was die Archäologie auf den Schlachtfeldern leisten kann: zeigen, was wirklich los war”, sagt Peter Prestel. Jenseits von Verklärung oder Verdrängung. Sie kann keine Auskunft darüber geben, ob ein Krieg jemals Sinn machte oder ob er in seinen Zielen gerecht war. Anders als bei Denkmälern und Ehrenwachen sind ihr nicht die Legenden und Mythen von Nationen wichtig, sondern die Schicksale der Einzelnen.

Aus den Funden und Ergebnissen der Schlachtfeld-Archäologen erwächst häufig Trauer und Erschütterung, eine Chance für die Nachgeborenen, viel zu lernen über das wahre Gesicht des Kriegs. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn heute nicht 300 Spartaner mit Schilden, Speeren und Schwertern, sondern ferngesteuerte Drohnen das blutige Handwerk erledigen.

Die letzten Minuten. Archäologie auf Schlachtfeldern. Ein Film von Gisela Graichen und Peter Prestel. Sonntag, 17.3., 19.30, ZDF


Der Beitrag wurde am Montag, den 28. Oktober 2013 um 22:15 Uhr unter der Kategorie Vorstand veröffentlicht. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen und selbst einen Kommentar schreiben.

Eine Reaktion zu “Zeugnisse des Schreckens: Alte Schlachten - neue Spuren”


  1. Heinz Sörensen

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    ich möchte auf den Suchdienstverein “Stalingrad” unter der Leitung von Alexej Bormotov aufmerksam machen. Das Museum des Vereins befindet sich in der Agrauniversität in Wolgograd. Ein Bericht und Bilder der Vereinsarbeit - in deutscher und russischer Sprache - finden Sie auf meiner Internetseite http://www.wolgograd-heute.de
    Mit freundlichen Grüßen
    H. Sörensen


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